Copyright:  Gerd Rasquin  -  15. Februar 2010, letztmalig aktualisiert im November 2015




Textgrafik

 

Villa 1941  Februar 2010

Villa Behnke im März 1941 und im Februar 2010

 

 

Diese Villa im Geesthang hatte sich Johann Heinrich Carl Behnke vom Baumeister Carl H.W. Schümann aus Schiffbek für 8.400 Mark errichten lassen. Am 9. Juni 1883 protokollierte die Baupolizei-Akte, dass nach Erdabtrag mit ersten Mauerarbeiten begonnen worden war. Schon am 4. Juli konnte Richtfest gefeiert und am 5. Oktober eingezogen werden. Behnke wollte jedoch erst einmal weiter in seinem Landhaus Nr. 28 in Billwärder wohnen, weil der Weg zum Arbeitsplatz kürzer war. Seine Villa in Horn vermiete er noch im Oktober an den praktischen Arzt Dr. Karl Viëtor mit Sprechstunden von 8–10 und 17–18 Uhr.

 

Ende Mai bis Anfang Juni 1888 entstanden Windfang und ein 5 x 2,85 Meter großer Anbau, der später als Esszimmer genutzt werden sollte. Seit dem 12. Februar 1890 war auch ein Sielanschluss vorhanden.

 

Im Jahre 1895 übernahm der Arzt Dr. med. W.H.P. Harding Villa und Praxis, doch musste er schon 1899 an die Horner Landstraße Nr. 236 ziehen, weil Fabrikdirektor Behnke in den Ruhestand treten wollte und sein Haus in Horn nun selbst beanspruchte.

Doch es gibt ja noch viel mehr zu berichten…

Margaretha Magdalena Henriette Steinwärder wurde am 15. März 1842 in ihrem Elternhaus an der Landstraße Nr. 28 in Billwärder an der Bille geboren. Am 30. März 1861 heiratete sie in der dortigen Dorfkirche St. Nikolai den am 29. September 1834 geborenen Johann Heinrich Carl Behnke. Sie besaß viel Humor und Mutterwitz, er war ein Hüne, hatte einen mächtigen Brustkasten, blondes gewelltes Haar, Vollbart, blaue Augen und eine rosige Gesichtsfarbe. Behnke war in Billwärder Angestellter einer chemischen Fabrik, die seit 1865 „Hell & Sthamer“ hieß. Er erfand die Formel, Salpeter aus der Luft zu ziehen, womit die Fabrik große Geschäfte machte. Ein "Verfahren und Apparat zur Gewinnung reiner Kohlensäure aus Feuerungs- und Ofengasen" ließ er sogar patentieren. 

 

Am 7. August 1862 wurde der erste Sohn Gustav geboren, der aber schon im Alter von nur 25 Jahren an Tuberkulose sterben sollte. Die weiteren Kinder hießen Johann Adolph (7.8.1865–22.3.1943), Johann Ludwig (18.11.1868–22.3.1894) und Anna Alma Margarethe (11.1.1879–20.3.1962).

 

Collage
Von links nach rechts: Mutter Behnke, die Söhne Gustav, Adolph, Ludwig sowie Tochter Alma und Vater Behnke.


Vater Behnke war im Geschäft so erfolgreich und unentbehrlich, dass er sich 1870 vom Kriegsdienst freikaufen konnte. Schließlich brachte er es zum Direktor, nachdem die Fabrik im Jahre 1889 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war und nun „Chemische Fabrik in Billwärder, vorm. Hell & Sthamer A.G.“ hieß. Als er am 22. Februar 1899 sein 50-jähriges Geschäftsjubiläum feiern konnte, hatte er auch schon das Rentenalter erreicht. Grund genug also, noch im Herbst in die schmucke Villa an der Horner Landstraße Nr. 369 zu ziehen. Von dort aus fuhr schon seit drei Jahren die elektrische Straßenbahn regelmäßig nach Hamburg, doch ließ sich das gutsituierte Ehepaar meist lieber im eigenen Pferdegespann von Kutscher Brinkmann befördern. Bei schönem Wetter ging’s schon 'mal nach Blankenese in ein Gartenlokal am Elbufer.

 

Leider blieben dem alten Behnke nur wenige Jahre in seinem neuen Domizil, denn schon am 2. Oktober 1904 verstarb er an Magenkrebs. Die schwer zuckerkranke Witwe folgte ihm am 11. Februar 1916. Wie gewohnt hatte sie sich in ihren zur Silberhochzeit geschenkten Lutherstuhl ans Fenster gesetzt, noch einmal über das Marschland bis nach Billwärder geblickt und war dann sanft eingeschlafen.


In ihren Lebenserinnerungen schrieb Enkelin Grete Wiescher* (10.3.1901–18.1.1973):

 

 

"Das nur über eine Kellertreppe zu erreichende Souterrain führte auf einen als Treppenplatz bezeichneten 7 qm großen Vorraum mit Closet. Rechts betrat man die Waschküche von der eine weitere Tür ins Badezimmer führte. Vom Treppenplatz geradeaus gehend führte eine Tür zum Vorplatz (12 qm), von dem man rechts in die Küche (13,7 qm) und von der wiederum in Speisekammer und Kohlenkeller gelangen konnte. Vorn, unterhalb der Veranda, lag dann noch die 7 qm große Mädchenstube. Zum Vorplatz gehörte auch die Garderobe, wo eine Konsole nebst vergoldetem Spiegeltisch mit Marmorplatte stand. Der Vorplatz besaß auch ein Fenster, wo die Fischfrauen in ihren flachen Körben Schollen anboten. Hier stand ein Tisch mit Waage und Gewichtsteinen zum Nachprüfen der gekauften Ware.

 

Das Erdgeschoss betrat man rechts durch die Hauseingangstür und einen sogenannten Windfang. Vom obligaten Treppenplatz gelangte man in die drei Zimmer, von denen die stuckverzierten auch als "Salons" bezeichnet wurden. Geradeaus lag rechts der kleine Salon (13,7 qm) und links zur Straßenseite der große (24 qm). Beide Räume zierten Deckenrosetten von gleicher Gestalt und Größe. Im Nussbaum gehaltenen kleinen Salon standen eine Etagère mit Porzellanfiguren, Vasen und ein silberner Pokal. Ferner ein Kachelofen, eine Konsole mit goldenem Spiegeltisch und Marmorplatte. Hier hing das kleine Gemälde "Strand und Meer". Der große Salon war in Mahagoni und Ebenholz gehalten. Im Salon standen ferner ein Klavier, eine Konsole, ein goldener Spiegeltisch und ein Gläserschrank. Zum Buffet mit Marmorplatte gehörten eine silberne Obstschale und zwei Porzellanvasen. Das Buffet mit Obstschale befand sich später im Besitz von Klaus Wiescher in Barmen, die Vasen bei Nachfahren in Berlin und Madrid. Vom Salon, der durch einen Kachelofen beheizt wurde, führte ein Sprachrohr zur Küche. Links des großen Salons lag das 12 qm große Veranda-Zimmer, in dem zwei Lutherstühle und ein schmiedeeiserner Grogtisch standen. Auf ihm lag ein Porzellantablett mit sechs Kupfergroggläsern und einem Kupferkessel. Im Raum hingen zwei goldumrahmte Ölgemälde mit den Motiven "Kartenspieler" und "Jägergeschichten". Die Veranda schmückte ein Gemälde mit Schweinen, vermutlich ein Motiv aus dem ländlichen Billwärder.

Eine Kuckucksuhr hing im Treppenhaus zum Obergeschoss, wo es zwei Schlafzimmer und das zwölf qm große Balkon-Zimmer gab, in dem wir oft frühstückten. Am Kachelofen befand sich eine Klappe, um den Kaffee warm zu halten und auch ein Sprachrohr in die Küche. Im Arbeitszimmer stand Großvaters Schreibtisch und auf ihm eine Leuchtturmuhr aus Messing.

Im Dachgeschoss lag hinter einer Tapetentür ein Geheimzimmerchen. Dort fand ich eine Steinesammlung sowie eine Uhr unter einem Glassturz. Im Mädchenzimmer standen auf der Kommode unter einem Glassturz ausgestopfte Vögel, darunter ein Kolibri, ein Wellensittich und ein Rotkehlchen.

 

Im Haus meiner Großeltern ist immer gut gegessen worden. Zum Frühstück gab's viel Butter und westfälischen Schinken sowie Speck in Würfeln. Außerdem stand ein Spannkorb mit guten Sachen auf dem Servierwagen und jeder knabberte daran herum. Opa schloss einmal zu Ostern eine Wette ab, vierzig hartgekochte Eier zu verspeisen… und er gewann! Er spielte Flöte und war Mitglied der Liedertafel "Blaue Brücke".

 

Das 800 qm große Grundstück besaß einen Garten mit schönen Bäumen. Es gab auch ein Treibhaus mit Weinstöcken und eins, in dem Palmen und Lorbeerbäume überwintern konnten. Sogar ein Hühnerstall war vorhanden. Inmitten des Gartens stand eine Laube und auf der Rasenfläche wuchsen hochgezogene Rosenstöcke. Unter den Platanen im Vorgarten standen Tisch und Bänke, wo man im Sommer frühstücken und das Treiben auf der Landstraße beobachten konnte. Hinter dem Haus lag der Obstgarten mit Johannisbeeren und Himbeeren sowie Spalierobst. Oben endete das Grundstück am kleinen Fußweg, der vom Letzten Heller schräg den Geesthang hinaufführte und "Mühlenberg" genannt wurde. Hier lagen kleine schlichte Wohnhäuser, die alle  Großvater gehörten.“

 

Anmerkung: Die Lebenserinnerungen bezüglich einiger Raumlagen und Raumbezeichnungen musste ich leicht korrigieren, weil sie nicht den noch vorhandenen Bauskizzen entsprechen. 

 

Im Jahre 1917 vermietete der Sohn Johann Adolph Behnke die Villa an den Schulleiter Otto Schrader, doch schon 1919 verkaufte er sie an den Getreidehändler Ludwig Rethwisch. Der wohnte hier auch seit 1921, nachdem Schrader an die Vierländerstraße Nr. 61 gezogen war. Zum 1. Januar 1927 verkaufte Rethwisch seine Villa an die Finanzdeputation Hamburg, die sie für 1.200 Reichsmark jährlich vermietete. Seit Herbst 1925 bis zum Frühjahr 1932 wohnte Ernst Rethwisch in der Villa, Furagehändler und Mitinhaber eines Wäsche-Verleihinstituts. Gleich darauf zogen der Straßenbahnfahrer Friedrich Eisenblätter, Rentner Heinrich Rethwisch und der Getreidehändler Emil Rethwisch ein. Während Letzterer sein Geschäft 1938 aufgab und nach Nr. 328/330 zog, wo er  ein Jahr später verstarb, wohnte Eisenblätter hier bis zu seinem Lebensende 1960 zusammen mit seinem Sohn Max, einem Tischler, der hier noch 1966 im Adressbuch vermerkt ist. Mieter im Haus waren ferner einst auch der Bote und spätere Kassierer Joseph Karolak (1938 bis Anfang der 1970er Jahre), Schlosser Wilhelm Ertel (1951–1962) und Kraftwagenfahrer Josef Serwinski (1953–1961). Zahlreiche Mietparteien folgten, bis die alte Villa Anfang des Jahrtausends immer unbewohnbarer geworden war und seit 2009 leerstand.

 

1931  Deckenrosette

 

Nachdem Enkel Klaus Wiescher den Ort seiner Erinnerungen 1959 besucht und fotografiert hatte, schrieb er in einem Brief: „Ein trostloser Anblick. Wie schön war es dort zu meiner Kinderzeit. Abgeholzt Großmutters Stolz, die Platanen, Zaun weg, Vorgarten weg*, Haus verwahrlost."

*Als die Horner Landstraße 1935 begradigt werden sollte, musste der Vorgarten weichen und die Villa durch eine Spundwand abgesichert werden.

 

Am 9. April 2010 durfte die seit einem Jahr ungenutzte Villa von Mitarbeitern der Geschichtswerkstatt Horn erstmalig begangen werden. Sie gehörte seinerzeit der Finanzbehörde, die es von der SAGA/GWG verwalten ließ. Einen "glanzvollen" Tag erlebte das alte Haus noch einmal am 25. September 2012, als im einst großen Salon ein Musikvideo mit dem Orchester Max Raabe produziert wurde. Ganz im Mittelpunkt der regionalen Medien stand es dann aber wenige Wochen später, als die Polizei mit einem Großaufgebot das von Bürgern besetzte Haus am 3. November räumen ließ (https://www.youtube.com/watch?v=lm2sVZ9InjE).

Ende 2013 begannen erste Verkaufsverhandlungen für das ca. 918 qm große Grundstück mit ca. 241 qm Wohn-/Nutzfläche. Bis Herbst 2015 hatte der neue Eigentümer das Haus sehr zum Vorteil verändern und auch alle Räumlichkeiten sanieren lassen. Genutzt wird es seit 2016 als City-Suite, wo man möblierte Wohnungen für kurze Zeit aber auch Monate mieten kann. Alles ist sehr schön geworden, vor allem innen. Man glaubt es kaum! Die Villa ist also gerettet!! http://citysuite-hamburg.de/galerie/


Ich danke Herrn Alfred Menzell für Informationen zu seiner Familienchronik.

Horn-Chronik