Copyright:
Gerd Rasquin - zuletzt aktualisiert im Juli 2007
So
schön stand sie einst vor dem Postamt am Bauerberg! Alle liebten den uralten Baum,
doch dass er bereits 1928 als ein besonders charakteristisches Gebilde der
heimatlichen Natur unter Schutz gestellt worden war, wusste nicht einmal die
zuständige Behörde. Das unangekündigte Abholzen dieses ehrwürdigen Grünzeugens
der Horner Dorfzeit löste vor allem bei vielen älteren Bewohnern große Trauer
aus. Genau genommen war sie ja eine Rotbuche, so genannt wegen der rötlichen
Farbe ihres Holzes. Doch auch die Natur hat Launen, und lässt hin und wieder
das eigentliche Grün der Blätter durch den im Zellsaft gelösten Farbstoff
Anthozyan überlagern. Das Resultat sind dunkelrote Blätter.
Über
keinen anderen Baum in Horn ließe sich wohl soviel berichten, wie über die alte
Blutbuche am Bauerberg…
Dieses
im April 1906 abgebrochene Landhaus hatte Jacob Behn im 17. Jahrhundert
errichten lassen. Das vordere Wohnhaus war allerdings erst um 1835 entstanden.
Auf dem Hof gab es bis 1659 eine Schulstube, in der ein sogenannter
"Hausinformator" einigen Dorfkindern das Lesen und Schreiben
beibrachte.
Seit
etwa 1740 gehörte der Bauernhof dann der Familie Richters, deren Nachkömmling
Herrmann, Sohn von Hans Albert Richters, am 9. Juni 1825 Catharina Stubbe aus
Reitbrook heiratete. Es war auch eine "Muss-Ehe", denn schon im
Oktober desselben Jahres kam Albert Otto zur Welt. Der erhoffte Stammhalter
starb jedoch bereits am 2. Juli 1826. Auch das zweite Kind, Adolph August
Herrmann, wurde nur elf Monate alt, starb am 19. Januar 1828. Nachdem am 21.
Februar 1830 auch der erst 32-jährige Vater verstorben war, musste die Witwe
bald nach einem neuen Lebenspartner suchen, um den großen Hof weiterführen zu
können. Sie fand ihn in Hans Ernst Saalfeld, einem jungen Bauernsohn aus ihrem
Heimatdorf Reitbrook. Die Trauung durch Pastor Mumssen fand am 8. Dezember 1832
in der "Ham und Hörner Kirche zur heiligen Dreyfaltigkeit" statt. Zu
diesem Zeitpunkt waren Catharina und Hans Ernst 28 bzw. 25 Jahre alt. In Horn
sprach man fortan nur noch vom "Saalfeldschen Hof". Anlässlich ihrer
Hochzeit ließen die Brautleute ein Bäumchen pflanzen, ein seit alten Zeiten
schöner Brauch: Unsere Horner Blutbuche!
Schon
damals wird sie 10–15 Jahre alt und etwa fünf Meter hoch gewesen sein, denn als
"Hochzeitsbuche" sollte sie doch etwas hermachen und einmal als
prächtiger Baum den Vorhof schmücken.
Den
Saalfelds wurden vier Kinder geboren. Am 21. Oktober 1834 erblickte Adelaide
Catharina Ernestine das Licht der Welt, doch ihr junges Leben endete schon am
22. August 1835. Am 19. Juli 1836 wurde Bertha Therese geboren, am 2. Juli 1838
Ernst Adolf und am 1. Februar 1840 Bertha Catharina. Doch die Ehe der Saalfelds wurde später geschieden. Alleinige
Grundeigentümer waren ab dem 8. Mai 1852 Catharina Saalfeld (verwitwete
Richters) und ihre Kinder.
Nach
dem Tode der Mutter übernahm am 27. Juli 1867 Ernst Adolf den
landwirtschaftlichen Betrieb. 1874 heiratete er Jenny Hinsch. Keiner verstand
so recht, warum er sich am Jahresende 1896 im Alter von 58 Jahren das Leben
nahm.
Tochter
Emilie, genannt Mimi (1876–1944), hatte mit ihren Eltern oft im Schatten der Blutbuche
gesessen und auf dem Hof eine schöne Kindheit verbracht. Im April 1906, als sie
alles erbte, war der alte Scheunenbereich abgebrochen worden. Das verbleibende
Wohngebäude hatte man äußerlich leicht verändern und im nördlichen Teil mit
einem Anbau versehen lassen: Die Villa Hellmers war entstanden! 1908 heiratete
sie Paul Hermann Adolph Hellmers (1874–1940), der mit seinem Vater Hermann
Jacob (1842–1941) eine im Jahre 1811 von Hans Barthold Hellmers als
Stellmacherei gegründete Firma besaß. An der Horner Landstraße Nr. 178/180
produzierten sie noch im 20. Jahrhundert Schneepflüge, Sprengwagen und
Kehrmaschinen.
Neue
Kinder sollten bald um die Buche herum spielen und sie beklettern, denn 1910
erblickten Paul, 1911 Hertha und 1913 Kurt das Licht der Welt.
Beim
schmiedeeisernen Zaun am Bauerberg stand einst auch ein hoher, vielstämmiger
Goldregen. Im Mai boten seine leuchtend gelben Blüten vor dem dunkelroten Laub
der Blutbuche ein Bild besonderer Schönheit.
Ende
Juli 1943 wurde die Villa von einer Bombe getroffen und brannte aus. Nur das
Erdgeschoss der Ruine ließ sich 1945 wieder bewohnbar machen.
1948
heiratete der jüngste Sohn Kurt, doch seine 1954 und 1957 geborenen Töchter
konnten die Buche nicht mehr beklettern. Im Jahre 1956 wurden die Reste der
ehemaligen Villa beseitigt und gleichenorts das heute noch stehenden
Mehrfamilienhaus errichtet.
Zweimal
wurde die Blutbuche derart vom Blitz getroffen, dass sie ihre einstige
Schönheit verlor. Zuletzt am 27. Mai 1984, als ein Stammteil von 1,27 Metern Umfang
abgespalten wurde.
Am
Morgen des 29. Juni eilte eine Hiobsbotschaft durch den Stadtteil: Die
Blutbuche soll gefällt werden! Niemand hatte davon erfahren, und schon am
selben Abend wären die Bewohner mit vollendeten Tatsachen konfrontiert worden, drei
Monate vor der großen 700-Jahr-Feier Horns! Eine spontane
"Rettungsaktivität" konnte leider nur das Allerschlimmste verhindern.
Man einigte sich auf einen Stammrest von vier Metern Höhe als Naturdenkmal. Und
so steht es nun da, seit dem 7. Juli 2006.