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Gerd Rasquin. Die Seite wurde im November 2005 erstellt und
im April 2015 überarbeitet und ergänzt.
Bleistiftzeichnung von Johann Theodor Riefesell (1836–1895),
entstanden am 9. Juli 1881. Den Gartenbereich rechts zeichnete um 1885 Molly
Cramer (1852–1936)
Von diesem einst malerisch gelegenen Fachwerkhaus lässt sich
einiges berichten. Schon auf der Flurkarte von 1751 ist es eingezeichnet, doch
man darf annehmen, dass es aus dem 17. Jahrhundert stammt. Bis zur neuen
Grenzziehung 1910 war es das erste Gebäude auf Horner Gebiet südlich der
Landstraße und gehörte zum 6.819 qm großen Flurstück Nr. 99.
Erstmals erwähnt wurde das Haus im Personenverzeichnis des
Hamburger Adressbuchs (fortan AB) von 1797 mit der Witwe des Tischlermeisters
H.A. Klambeck als "Wirtin im
Schinkenkrug in Horn". Bis zum Tod ihres Ehemanns im Jahre 1796 hatten
beide an der Holländischen Reihe Nr. 72 in Hamburg gewohnt, wo sie eine
Mobilienhandlung besaßen, die später ihr Sohn Johann Hinrich weiterführte, der
1802 auch den "Schinkenkrug" übernahm. Bis 1825 stand er als "Wirt in Horn" in den AB.
Die AB von 1823–1833 vermerken: "Jahns, Johann August, Wirt im Königlich Preussischen Posthof und
alten Schinkenkrug in Horn". Wie der Dorfkarte von 1826 aber zu
entnehmen führte schon der Junior (1793–1850) den Betrieb. Seinem Vater, der
stets mithalf, gehörte das östliche Nachbargrundstück. Beide machten den
Gasthof zum weithin beliebten Ausflugslokal, das im oberen Stockwerk sogar 16
Fremdenzimmer besaß. Ein gepflegter Garten mit altem Baumbestand reichte bis an
die Bille, und während der Sommermonate kamen alljährlich viele Gäste zur
Erholung.
In baldiger Erwartung seines ersten Kindes, hatte
Jahns am 13. Februar 1833 geheiratet. Am 16. Mai wurde dann Johanna Auguste Elisabeth geboren.
Den Gasthof in Horn gab er auf und eröffnete 1834 an der Landstraße Nr. 66 in
Hamm einen neuen. Der lag schräg westlich gegenüber in einem Haus bei der
Hohlen Rönne, das von 1794–1827 dem Wundarzt Johann Ernst Hilcke gehört hatte.
Das AB von 1835 vermerkt: "Jahns,
jun. Johann August, Wirthschaft im neuen Schinkenkrug in Hamm". Weil
das Geschäft sehr gut lief, bot er seit dem 27. Juli 1835 erste regelmäßige
Kutschenfahrten an. Sie führten vom Letzten Heller die Landstraße entlang zum
Berliner Tor und weiter über die Große Allee zum Steintor. Endstation war die
Petrikirche. Seine "Journalière von
Ham und Horn" war bald so bekannt, dass das AB von 1837 sie sogar
hinter seinem Namen vermerkte, in den AB von 1843 und 1844 zusätzlich "...Ham und Horn und Billwärder
Neuerdeich". Bereits seit dem 20. Oktober 1840 fuhr die Journalière
auch zweimal täglich von Schiffbek ab.
Noch 1844 verkaufte Jahns seine Linie an die Firma "Basson & Co.", die ab
August Betreiber war. Er selbst beschränkte sich seitdem auf Fracht- und
Postbeförderung zwischen Hamburg und Horn und betrieb bis zu seinem Tod am 18.
Januar 1849 nur noch eine täglich verkehrende Anschluss-Omnibus-Linie vom
Letzten Heller bis nach Billwärder.
Nachdem sein Vater 1845
verstorben war, hatte er den Namenszusatz "jun."
weggelassen, und so lesen wir im AB von 1847: "Jahns, Johann August,
Wirthschaft im neuen Schinkenkrug, Ham no 66, Inhaber der Brief- und
Fracht-Journalière von Ham und Horn, Expedition in der Stadt: Rathausstraße 8.". Seit
1848 steht dann Folgendes: "Jahns. Johann August, Wirthschaft im neuen
Posthause Ham, an der Landstraße no 66, Inhaber der Brief und Fracht-Journalière
von Ham und Horn, Expedition in der Stadt: Rathhausstraße 29".
Die Witwe Johanna Catharina führte das Geschäft noch bis zu ihrem Tod im Jahre
1859 weiter. Ihr Nachfolger wurde P.H.S. Becker, der seit 1856 eine
Gewürzwarenhandlung in Nr. 93 besessen hatte.
Nachdem Jahns 1834 den
Gasthof in Hamm eröffnet hatte, war Johann Peter
Daniel Schultz neuer Wirt in Horn geworden. Seit 1835 vermerkten ihn die AB als
"Gastwirth zum preussischen Posthof
oder alten Schinkenkrug in Horn no 97". Nachdem er 1857 verstorben
war, betrieb die Witwe den Gasthof noch bis zu ihrem Tod. Am 15. Februar 1875
wurde das Grundstück den Erben zugeschrieben. Die verkauften das
Haus 1876 an den Gastwirt Theodor Plumeyer, doch das Geschäft schien schlecht
zu laufen. "Decke, Brüggmann und Beuck", die Grundeigentümer von
links nebenan, zeigten Interesse an der Immobilie und erwarben sie 1877.
Plumeyer zog noch im selben Jahr an die Amelungstraße Nr. 17 und versuchte sich
dort als Butterhändler. Wirt von 1877–1882 war dann der Milcher Johann
Friedrich Mamero (zog an die Eimsbütteler Chaussee Nr. 38c). Ihm folgte Ludwig
Meyer, jedoch nur für wenige Monate, denn schon 1883 mietete Claus Stäcker den
"Gasthof zum alten Schinkenkrug". Auch er schien mit dem Lokal
finanzielle Probleme zu haben, was wohl auch alle weiteren Wirte betraf: Seit
1884 J.G. Schröder, 1885 Christian Kroll, 1887 H.F. Witthack und 1889 Henriette
Rieck. Voranschreitende Baufälligkeit ließen das alte Haus dann zu einem
interessanten Spekulationsobjekt werden, denn das Hamm-Horner Grenzgebiet galt
seinerzeit als gute Wohnlage. Nachdem die Hamburger Maurermeister Areldy &
Vortmann aus der Gothenstraße Nr. 11 das Grundstück 1890 erworben hatten,
ließen sie den Schinkenkrug samt Garten-Kegelbahn im Mai 1891 abbrechen und
gleichenorts ein dreistöckiges Wohnhaus mit den Nummern 26–30 errichten.
Weit über die Grenzen Horns bekannt geworden war der
"Schinkenkrug" durch den Blutegelhandel, denn der Fang dieser Tierchen
war schon bei den Vierländern Anfang des 19. Jahrhunderts ein einträgliches
Geschäft. Die von der Medizin sehr geschätzten Egel wurden in der näheren und
weiteren Umgebung gesammelt. Transportmittel waren Rücken-Kiepen oder
Schubkarren. Als die Bewohner der von den Vierländern bereisten Gebiete sahen,
dass die schwarzgrauen Würmer ihrer Gewässer zu Geld gemacht werden konnte,
stellten auch sie den Egeln nach und bewahrten diese in Wasser, Schlamm, Moos
und Torfmull auf, bis die Händler sie ihnen auf der nächsten Fahrt abkauften.
Die deutschen Fanggebiete in Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern, Preußen
und Polen erschöpften sich jedoch bald. Da hörten die Vierländer Ihlenfänger,
zu denen sich auch immer mehr Bauern aus den Marschlanden und Horn gesellten,
dass zahlreiche Gewässer Russlands mit Blutegeln reich besetzt seien. Seit etwa
1830 fuhren sie nun um Ostern herum mit ihren Pferdekarren dorthin. Die ersten
reichen Fanggebiete lagen zwischen Don, Donez und Dnjepr. In etwa sechs Wochen
wurde der Weg zurückgelegt. Man schlief in Herbergen oder unter der Plane des
Karrens. So ein Wagenzug hatte meist auch einen Koch dabei. Im Fanggebiet bezog
man während der Sommermonate festes Quartier auf einem Gutshof. Oft unter
Mithilfe russischer Bauern wurden die Teiche der Umgebung nach Egeln
abgefischt. Für den eigentlichen Fang spielten junge Bauernmädchen die
Hauptrolle. Bis zu den Hüften aufgeschürzt, wateten sie durch die Teiche. Die
Egel saugten sich an den Beinen fest und brauchten anschließend nur noch
abgenommen zu werden. - In den bedeutendsten Jahren des Blutegelfangs
importierte man jährlich zweihundert- bis fünfhunderttausend Blutegel pro
Wagenladung. Im Gasthof "Schinkenkrug" der Dorfschaft Horn fanden sie
reißenden Absatz, und schon vor der Rückkehr der Ihlenfänger im Herbst kamen
Franzosen, Engländer, Holländer, Belgier, Schweden, Nord- und Südamerikaner, um
hier ihren Bedarf an guten Blutegeln sicherzustellen. Die letzten Fuhren
kehrten Mitte November in die Heimat zurück. Dann wurde im "Schinkenkrug"
fröhliches Wiedersehen gefeiert. Für tausend Blutegel bezahlte man in den
Fanggebieten 50 bis 100 Mark, zuhause erzielte man dann aber 150 bis 300 Mark.
Das Preiseaushandeln zwischen Ihlenfängern und den fremden Maklern brachte dem
Gasthof den Beinamen "Blutegelbörse" ein. Auf diese Weise sicherten
viele Familien ihren Lebensunterhalt, denn Horner Tischler stellten auch in
großen Mengen Fangkästen her. In den Gartengrundstücken südlich der Landstraße
legte man nahe der Bille "Blutegelteiche" an, in denen die Tierchen
bis zum endgültigen Verkauf gehalten wurden. Als die russische Regierung vom
Blutegelfang in ihrem Gebiet erfuhr, erhob sie bald hohen Ausfuhrzoll, worauf
die Egelfänger immer öfter nach Ungarn und in die Bukowina fuhren. Das Aufkommen
der Eisenbahn und rückläufige Fangergebnisse führten jedoch bald zum Ende der
Wagenfahrten.
Seit Jahrhunderten gab es
an der Landstraße in Horn kleine Lokale, doch den Namen eines Gastwirts erfuhren
wir erst in einem Protokoll des Landherrns vom 19. August 1769: "Ist
der Wirt Neumann in Horn, weil er an einem Sonntagabend in seinem Hause Komödie
hatte wollen spielen lassen, welches ich ihm aber noch vorher verboten habe,
von mir in 5 Reichstaler Strafe genommen und ihm bei 50 Reichstaler Strafe
untersagt worden, in Zukunft kein liederliches Gesindel bei sich zu
beherbergen. Den Komödianten aber habe ich bei Strafe der Arretierung
anbefohlen, sich sofort aus meiner Jurisdiktion wegzubegeben, welches auch von
ihnen ungesäumt geschehen".
Die
AB von 1800–1803 vermerken: "Viechelmann, Wirth im zweyten Schinkenkruge", die
von 1804–1822 schon mit dem Zusatz "in
Horn" und die von 1823–1830 "Viechelmann,
Burghard Hartwig, Wirth im alten Schinkenkruge in Horn". Wenn dieses
Lokal aber schon um 1800 der "zweyte
Schinkenkrug"
gewesen sein soll, dann stellt sich doch die Frage, wo wohl der erste war?
Vermutlich gab es den schon vor 1765 und als der 1822 schloss, war plötzlich
Viechelmanns "zweyter
Schinkenkrug" der einzige und folglich auch alte, denn weiter westlich
hatte zur gleichen Zeit ein Lokal eröffnet, das der Wirt "Neuer Schinkenkrug"
nannte.
Nachdem Viechelmann 1830
verstorben war, erwarb Hans Daniel Diedrich Hinsch (31.12.1782–11.3.1858) das
Haus samt Lokal. Bis zum 11. November 1828 war er noch Wirt im Gasthaus auf der
Vorburg in Trittau. Im Jahre 1851 hatte Sohn Johann Hermann Rudolph das Horner
Lokal von seinem Vater übernommen.
Zwischen 1867 und 1883 gab
es hier kein Lokal mehr, obwohl die Dorfkarte von 1868 noch "Alter
Schinkenkrug" vermerkt, jetzt unter der neuen Hausnummer 84b. Folglich
sprach der Wirt des neuen Schinkenkrug in Nr. 97 bald nur noch vom
"alten", denn den wirklich alten
gab es ja nun nicht mehr.
Einige weitere Bewohner
des Hauses waren von 1855–1863 der Schuhmacher F.E. Witte (zog nach Nr. 78),
von 1863–1865 die Witwe J.O. Burmester, von 1865–1868 der Schornsteinfegermeister
Carl Ludwig Hegewisch, von 1868–1871 der Feldwebel Friedrich Theodor
Ehwald, von 1871–1875 die Geschwister Deuchert und von 1875–1880 der
Polizeiwächter Gustav Carl August Kruse, gemeinsam mit dem Schriftführer
J.F.C.J. Bruns. Seit 1881 besaß das Haus die Nummer 82 und gehörte H. Friedrich
Theodor Bodendieck, der aber an der Hammerlandstraße Nr. 201 wohnte. 1883 war Johann
Carl Ziemann mit seiner Gastwirtschaft vom Bauerberg Nr. 16 hierhergezogen. Wir
wissen bislang nicht, ob er seinem Lokal einen Namen gab, doch "Schinkenkrug"* sicher nicht. Nachdem Hauseigentümer
Bodendieck 1886 verstorben war, verkaufte die Witwe das Grundstück im Jahr
darauf an August Heinrich Johannes Müller, der hier selber als Gastwirt
arbeiten wollte. So musste Ziemann nach Nr. 128 ziehen, wo er bereits im Jahr
darauf verstarb.
Müllers Lokal bestand aus
einem Gastzimmer, einem Clubzimmer und einer Küche. Hinter dem Haus gab es auch
eine Kegelbahn, wie schon auf der Dorfkarte von 1868 zu erkennen. Der erste
Stock bestand aus vier Zimmern, die in den 1890er Jahren von der Witwe
Bodendieck bewohnt wurden. Nachdem Müller
verstorben war, endete auch die Geschichte des historischen Lokals und alle
Räumlichkeiten dienten fortan nur noch als Wohnbereiche. Seit Dezember 1901
gehörten das Haus und auch die Nr.100/102 der Erbengemeinschaft um die Witwe
Euphrosine Steege, doch schon am 10. März 1902 ersteigerte Ludwig Friedrich
Blohm (†1911) die Immobilien. Nachdem auch seine Ehefrau 1918 verstorben war,
verkauften die Erben im Januar 1922 alles an Claus Heinrich Hinrichsen, der am
7. September 1923 den Abbruch des Hauses wegen Baufälligkeit beantragte. Das
aber lehnte sowohl der Vorstand des V. Baupolizeibezirks als auch die Baupolizeibehörde
ab, weil man Hinrichsen als Spekulanten verdächtigte. 1928 hatte der Staat die
Grundstücke erworben, um Großwohnhäuser errichten zu können. Letzte Bewohner
vor Abriss des Hauses im November 1928 waren im Erdgeschoss der Asphalteur
Johann Grönwall (zog an den Horner Weg Nr. 272b) und im ersten Stock der
Zimmermann Johann Rath (zog nach Nr. 110). Hinter dem Haus lag seinerzeit die
Werkstatt des Tischlers August Drews, der in Nr. 106 wohnte, dann aber nach Nr.
129 zog.
*In einem neu errichteten
Großwohnhaus an der Horner Landstraße, Ecke Steinfurtherstraße eröffnete Rudolf
Callsen 1904 ein Restaurant, das er "Zum Neuen Schinkenkrug" nannte.
Fliegerbomben zerstörten alles im Juli 1943 und seitdem gab es keinen
"Schinkenkrug" mehr in Horn.