Copyright:  Gerd Rasquin  -  22. Oktober 2009, aktualisiert im Juni 2016, zuletzt im November 2022

 

 

 

 

 

1904 am Horner Moor

 

 

Nachdem die Gletscher der letzten Eiszeit auf der Linie RahlstedtStemwardeGrande zum Stehen gekommen waren, schmolzen sie vor etwa elftausend Jahren ab und hinterließen bis zum Rande des Elbe-Urstromtals ein ebenes, ewig feuchtes Gebiet. Auf der Geest muss man selbst heute noch nur einen Meter tief graben, um auf feinen weißen Sand zu stoßen, wie man ihn an der Ostsee findet.

 

Wenn der Teich auf der Flurkarte von 1751 also noch nicht eingezeichnet war, wohl jedoch auf der Dorfkarte von 1826, dann muss in diesen 75 Jahren etwas geschehen sein, was nicht die Natur zu verantworten hat. Sehr wahrscheinlich war es 1780 die öffentliche Verlosung großer Teile der Gemein(de)weide an alle berechtigten Höfner und Kätner. Die wollten auf ihren neuen Äckern selbstverständlich ernten, doch im Bereich um den heutigen Moorteich war Anbau nicht möglich, weil alles sehr feucht war und oft unter Wasser stand, was die Flurkarte von 1751 beweist. Deshalb ließ die Dorfgemeinschaft gleich am Südostrand der verlosten Flurstücke große Erdmengen ausheben, damit sich das Wasser der Umgebung in der entstandenen Kuhle sammeln konnte. Bald darauf war Horns größter Teich entstanden, den man im Dorf nur noch als "Horner Moor" bezeichnete. Nach und nach wurden auch Fische ausgesetzt, der Moorteich sogar verpachtet, u.a. 1893 an den Gastwirt Ferdinand Langhein vom Bauerberg Nr. 67. Als Grundeigentümer Saalfeld seinen Fischteich neben der Horner Blutbuche verkleinern wollte, schenkte er Langhein die Fische. Johannes ("Hannes") Bargmann, seit 1899 Gastwirt am Hermannstal, erhielt den Auftrag, sie in zwei Waschbottichen zum Horner Moor zu schaffen. So entstanden zur Freude der Angler viele neue Fischgenerationen, deren Nachkommen noch heute den Moorteich bevölkern.

 

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Horner Bürgerverein mehrmals auf die Notwendigkeit einer Badeanstalt in Horn hingewiesen, doch alle Gesuche an die Bau-Deputation blieben erfolglos. Um wenigstens etwas zu erreichen, wurde am 2. März 1901 beschlossen, die Trennung von Schwimmer- und Nichtschwimmerbereich zu beantragen. Außerdem schlug man vor, einen Veteranen (Pensionär) zu bestellen, der für Sauberkeit und Ordnung sorgen sollte. Nachdem der Senat der Bürgerschaft mitgeteilt hatte, dass in einem Brief vom 27. September 1907 die "Einrichtung einer Badegelegenheit im Horner Moor" beantragt worden war, unterstützte man dieses Vorhaben. Nach Prüfung der Wasserqualität entstand schon im Sommer des folgenden Jahres der "Badeplatz Horner Moor", bestehend aus der westlichen Hälfte des Teichs und einer offenen Umkleidehalle. Im ersten Jahr zählte man 91.000 Besucher. Leider jedoch durfte im Winter nicht Schlittschuh gelaufen werden, weil der See verpachtet war und von Brauereien etc. abgeeist wurde.

 

 

Im Jahre 1911 erhielt die kleine Zufahrtstraße zum Badeplatz Kopfsteinpflaster und noch im selben Jahr hob man den an der Westseite verlaufenden "Weg Nr. 75" auf. Gleichzeitig entstanden Betriebsräume, eine Futtermauer, eine überdachte Planke sowie einen Laufsteg mit kleinem Aussichtsturm, der den Nichtschwimmerbereich vom Schwimmerbereich teilte. Im Sommer 1914 gab's dann sogar noch ein Drei-Meter-Sprungbrett, das sich auf einem Schwimmponton am Rande des Schwimmerbereichs befand. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs kamen im Sommer 1914 noch 168.800 Badegäste, in den Jahren danach aber jährlich nur noch etwa 66.000. Zwei Jahre nach Kriegsende kamen wieder 220.800 Besucher, davon 192.900 männliche und 27.900 weibliche.

 

Im Frühjahr 1919 war der Elektrotechniker Heinrich Friedrich Wilhelm Beyerbach (27.10.1887−7.1.1972) mit Ehefrau Dora Müller von der Rönnhaidstraße Nr. 26 ins Erdgeschoss des vierstöckigen Wohnhauses am Hermannstal Nr. 67 gezogen. Vermutlich hatte er die Hoffnung auf steigende Besucherzahlen nach dem Krieg und verband diesen Gedanken mit "Trinkhalle und Verkaufspavillon" für die Badegäste. Grundeigentümer Jacob Wilhelm Krogmann genehmigte sein Vorhaben und so entstand noch im Mai für 1.400 Mark ein 5 x 3,50 Meter großes Häuschen mit rotem Ziegeldach, brauner Verschalung, grünen Ständern und weißen Fenstern. An schönen Sommertagen war dieses gemütliche Plätzchen dann sehr beliebt. 1921 durfte der Gärtner Emil Bressel ein 10 x 6 Meter großes Haus an die Trinkhalle anbauen, das als Notwohnung und Lagerraum diente. Im Jahr darauf ließ Beyerbach zwei weitere Räume zu Wohnzwecken anbauen und das gesamte Objekt von der Baupolizeibehörde als provisorisches Wohnhaus genehmigen, in das er auch gleich einzog. Im März 1926 wurde für 1.500 Mark eine 4 x 4 Meter große Gaststube angebaut. "Zum kleinen Kurhaus" hieß jetzt das am "Weg Nr. 41" liegende Sommerlokal, allerdings ohne Hausnummer. Sogar eine Postkarte ließ Beyerbach herstellen, der hier erstmals im Adressbuch von 1928 vermerkt ist (seit 1925 nur als "Aufseher"). Zuletzt steht Beyerbach 1939 im AB. Seit er in jenem Jahr in den Krieg zog, blieb das Lokal unbewirtschaftet und taucht erst wieder im AB 1947 auf. Der nunmehr 60-jährige Wilhelm Beyerbach hatte es wohl gleich nach Kriegsende wieder zum Leben erweckt und erst 1953 an Willi Hartung übergeben. Das "Kleine Kurhaus" besaß mittlerweile die zur Manshardtstraße gehörende Hausnummer 66. Der jetzt als Rentner lebende Beyerbach selbst hatte 1954 die Gaststätte von Maria Schwedt an der Hammer Landstraße Nr. 251 übernommen, doch bereits 1957 an Herbert Knappe übergeben. Im selben Jahr war er ins Erdgeschoss eines neuerrichteten dreistöckigen Mehrfamilienhauses am Alten Bauerberg Nr. 4 gezogen. Seine Wohnung soll ein kleines Museum gewesen sein, denn Beyerberg hatte vieles über Horn zusammengetragen.

 

Das "Kleine Kurhaus" hatte schon 1955 Bernhard Sturm übernommen, der vorher eine Gastwirtschaft an der Straße "Hohe Brücke" Nr. 4 besessen hatte. Im Jahre 1968 übernahm Grete Sturm das Lokal am Horner Moor und führte es noch in den 1970er Jahren. Nach weiteren Wirtswechseln schrieb ein Besucher am 3. Juni 2008: „Kleine gemütliche deutsche Kneipe im Stil der 1950er Jahre mit nettem Biergarten. Noch bis zum letzten Jahr war hier alles sehr verwildert und heruntergekommen, doch in diesem Jahr haben sie es recht schön hergerichtet. Oft sitzen dort die Anwohner bei einem kleinen Bierchen zusammen. Der Küchenbetrieb ist nur für kleinere Speisen gedacht, dafür aber wird im Sommer bei gutem Wetter oft gegrillt. Sonntagmittags gibt es dort auch Kaffee und Kuchen. Die Preise sind so fair, dass man sich auch mal ein oder zwei Getränke mehr leisten kann.‟ Nachdem der deutsche Wirt das Lokal aufgegeben hatte, kam es im Januar 2009 in die Hände des Bosniers Tihomir Vidović, der es noch heute als "Balkan Grill Haus" betreibt.

 

Doch zurück zum Horner Moor: Auch in den 1920er Jahren wurde noch getrennt gebadet, immer im täglichen Wechsel morgens für männliche und nachmittags für weibliche Badegäste. Nur sonntags durfte sich hier die ganze Familie vergnügen! Öffentlich und auf Karten hieß es übrigens immer "Badeplatz Horner Moor". Die Bezeichnung "Badeanstalt" setzte sich erst nach 1945 durch. In den 1950er Jahren erlebte das "Horner Moor" noch einmal eine Blütezeit. Viele schöne Sommer und ein kinderreiches großes Einzugsgebiet sorgten an heißen Tagen für lange Schlangen vor dem Kassenhäuschen.

 

Hygienisch gesehen war das Wasser von bester Qualität. Dafür sorgten tausende von "Moorlieschen", kleine Fische, die sich gierig auf jeden Tropfen stürzten, der so manchem entrann. Das Moor war früher für Angler interessant, heute jedoch gehen fast nur noch die grätenreichen kleinen Rotaugen an den Haken. Sie sind zwar gute Köderfische, doch Hechte sind selten geworden. Werner Badenschier (Jahrgang 1917), der im Hermannstal seine Kindheit verbrachte, erinnert sich an den Fang eines riesigen Aals. Der wurde anschließend jedoch nicht verzehrt, sondern präpariert. Jahrelang hing er in der Gaststube des Kleinen Kurhauses, bis ihn Wilhelm Beyerbach bei Übergabe des Lokals 1953 als Souvenir mitnahm.

 

Mitte der 1970er Jahre begann die Zeit der Erlebnisbäder, allen voran das Aschbergbad in Hamm. Immer weniger Menschen zog es nun zum kühlen Moorwasser. Vor allem Kinder blieben weg und an Wochenenden folglich auch die Familien. Nach der Badesaison 1980 wurde das Freibad für immer geschlossen, die Schließung im April 1981 vom Bezirksamt genehmigt.

 

Nach Umbau zur Parkanlage zeugt lediglich ein Teil der einstigen Umgrenzungsmauer vom alten "Badeplatz Horner Moor" ...und natürlich der jetzt etwas kleinere See. Es ist immer noch schön hier!