Copyright:  Gerd Rasquin - Mai 2008, letztmalig bearbeitet am 1. Juli 2023.

 

 

 

 

Großer Pachthof (Textgrafik)

 

  

 

 

Dieses stattliche Hofgebäude lag bis zur Ausbombung am 28. Juli 1943 am östlichen Rand der Straße Bauerberg.

 

 

 

 

Das am 28. Juli 1943 durch Brandbomben zerstörte Hauptgebäude des "Großen Pachthofs" ist zwar schon auf einer Karte von 1808 eingezeichnet, nicht jedoch auf Ramborgers Flurkarte von 1751, die nur ein großes, im niedersächsischen Landhausstil errichtetes Gebäude zeigt. Es war nach 1663 auf dem Geestrücken errichtet worden, straßenabseits der flutgefährdeten Marsch. Bereits im 12. Jahrhundert gab es einen Hof in Horn, 1306 erstmals urkundlich erwähnt. In den folgenden Jahrhunderten entstanden weitere Strohdachkaten und mit ihnen ein Feldweg, den der Volksmund "Bauerberg" nannte, obwohl "Bauernberg" eigentlich die richtigere Bezeichnung gewesen wäre.

 

Über Pächter und Bewohner ist bis 1464 nichts bekannt. In jenem Jahr verkaufte das Hospital den Hof an die Bauernfamilie Soltow (Soltau), seit 1492 auch Grundeigentümer in Jenfeld, als dort Henning Soltow urkundlich erwähnt wurde. Aus ihrem umfangreichen Besitz verpachteten und verkauften die Soltows auch immer wieder Ländereien, einen Hof in Horn nachweislich an Willem Boding, der ihn am 17.6.1531 an Jochim Salßborge (Joachim Salsborch) veräußerte. Nachdem dieser am 11.1.1557 kinderlos verstorben war, besaß Ehefrau Margarethe den Hof noch bis 1568. Nächster Grundeigentümer war dann der Kaufmann Ulrich Winckel (1527–15.9.1594), der anno 1562 Anna Lüchtemaker geheiratet und mit ihr zwölf Kinder bekommen hatte. Nachdem er verstorben war gehörte der Hof seinen Söhnen Johann und Ulrich (30.10.1575–15.2.1649), letzterer seit 1624 bis zu seinem Tod auch Hamburger Bürgermeister. Seit dem 11.4.1608 war er mit der 1581 geborenen Tochter des Bürgermeisters Diedrich von Holte verheiratet. Die Söhne hießen Diederich (*1620‒†19.5.1667) und Ulrich (1622‒1680). Erben der Familie Winckel ließen ihren großen Hof am 16. März 1661 teilen.

 

Anno 1615 hatte Marie, Witwe eines Johann Soltow, einen anderen Hof in Horn an ihren Schwiegersohn Curt Grawerts verkauft. Zwei Jahre später soll der mecklenburgische Adlige Albert Brämbse acht Häuser und vier Scheunen Horns angezündet haben, um sich am Leiter des Hamburger Domkapitels Dekan Hinrich Pommert zu rächen, der über ihn den Kirchenbann ausgesprochen hatte. Da es derzeit in Horn nur etwa 15 Gebäude gab (siehe Karte von 1600), kann man sich die Zerstörungen vorstellen. Im Jahre 1622 kam ein Kontrakt zustande, in dem das Hospital zum Heiligen Geist alles Land außerhalb des Millerntores der Stadt überließ und dafür Grundbesitz in Horn erhielt. Zusätzlich zahlte die Stadt eine jährliche Rente von 1.500 Mark Courant und 24 Wispel Roggen.

 

 

Über die folgenden zwei Jahrhunderte ließ sich bislang nichts erforschen. Das stets reich begrünte Areal bestätigte ein Dokument vom 6. Januar 1805, als Waldvogt Brinckmann acht Bäume im Garten sowie fünf Buchen und noch 96 Eichen auf der Koppel zählte, obwohl bereits am 28. April 1796 achtzig Eichen öffentlich an den Meistbietenden verkauft worden waren. Am 9. September 1806, zwei Monate bevor napoleonische Soldaten das Dorf für sieben Jahre besetzten, konnte eine weitere öffentliche Auktion über 55 Eichen stattfinden, die 357 Mark Courant und acht Schillinge erzielte.

 

Seit mindestens 1796 war J.C.H. Barckhan Hofpächter, seit 1813 dann Heinrich Johann Rosenau. Nachdem der zum Bauerberg gelegene Wohnbereich am 8. April 1831 abgebrannt war, konnte er schon bis September durch einen großen Fachwerkbau ersetzt werden, den Stadtbaumeister Carl Ludwig Wimmel entworfen hatte. Das Gesamtgebäude besaß eine Grundfläche von 40,11 x 15,75 Metern, allein der Scheunenbereich war 28,65 x 14,32 Meter groß. In einem 1846 errichteten Spitzdachäuschen, gleich hinten links des Scheunenbereichs, hatte Rosenau bis †1848 eine Spiritusfabrik betrieben. Die Witwe (†1858) zog noch im selben Jahr an die Hammerlandstraße 31. Nachfolgepächter wurde Johann Christopher Boje. Die jährliche Pacht hatte des Hospital zum Heiligen Geist seinerzeit von 900 auf 1.000 Mark erhöht.

 

Das Pachthofgebäude war stets bewohnt: Im Jahre 1866 mietete sich Peter Philipp Friedrich von Grzeskewitz ein, der schon im AB von 1834 als Wollwarenhändler steht. 1869 zog er an die Hammer Landstraße 195, wo er 1888 verstarb. Nach ihm kam der Kaufmann Hermann Bernhard Röhlig und von 1872–1874 der Präturbeamte E.H.J. Brügmann. Seit 1875 wohnte Zimmermeister J.J.A. Zimmer aus St. Georg im Haus, doch schon 1876 der Gewürzwarenhändler Georg August Zincke und Stellmacher Wilhelm Carl Friedrich Ungnade. Nachdem der 1879 an die Henriettenallee 9 gezogen war, mietete Carl J.P. Gottschalck (†1918) die Wohnung, Besitzer einer Lehranstalt an der Langenreihe in St. Georg. Als 1892 ein neuer Pächter kam, zog Gottschalck an den Hornerweg 72 und im Jahre 1894 an den Hohlerweg 48 (heute "Beim Rauhen Hause").

 

Am 21. Juli 1881 hatte das "Hospital zum Heiligen Geist" den Pachthof an die Stadt Hamburg verkauft.

 

Seit Januar 1891 gab es am Bauerberg neue Hausnummern. Aus der Nr. 25 war die Nr. 20 geworden.

 

Erst aus dem Jahre 1892 ist uns mit dem Milchhändler Johann Heinrich Diedrich von Drateln (5.1.1862–5.1.1905) wieder ein Landwirt bekannt, der die 88 Hektar große Staatsdomäne pachtete. Zu seiner Familie gehörten Ehefrau Emma Catharina Caroline, geborene Hein (12.8.1863–22.1.1947), die er am 5.5.1885 geheirat hatte und zwei kleine Söhne. Der in Moorfleth geborene von Drateln wohnte seit Herbst 1891 im gerade erworbenen Mehrfamilienhaus an der Burgstraße 18, wo er bis 1900 eine Milchhandlung besaß. Den Hof am Bauerberg hatte er u.a. deshalb gepachtet, um hier Kühe zu halten.

 

Im Jahre 1894, als Horn zu einem Hamburger Stadtteil geworden war und die Martinskapelle einen Turm erhalten hatte, verlängerte man den rechts des Gebäudes verlaufenden Hofweg bis zum jetzt "Martinskirche" genannten Gotteshaus. Im Volksmund wurde er bald "Kirchenstieg" genannt.

 

Alljährlich zur Derbyzeit waren in den Scheunen Horns Pferde einquartiert, denn die Galopp-Rennbahn hatte seinerzeit noch keine eigenen Stallungen. Vor allem Jockeys und Pferdebesitzer schätzten das "Haus am Bauerberg" mit seiner Gastfreundlichkeit und besten Bedingungen, denn in seinen zwei Scheunen konnten bis zu 38 Rennpferde untergebracht werden. Als 1895 das einquartierte Pferd "Impuls" Derbysieger wurde, war die Freude der von Drateln und ihrer zahlreichen Freunde und Gäste natürlich riesengroß. Beherbergte Derbysieger waren auch Trollhetta (1896), Flunkermichel (1897), Tuki (1901) und Sieger (1908).

 

Im Hofhaus wohnte viele Jahre lang nur die Familie von Drateln. Erst nachdem sie ihre Milchhandlung an der Burgstraße 1900 aufgegenen hatten, vermieteten sie die oberen Wohnräume. Seit 1900 an den Buchhalter Carl Sturmk, 1901 an den Küpermeister Friedrich Baark, 1906 an Maschinenmeister Theodor Müller, 1911 an Werkmeister Hermann Heinecke, 1914 an Zimmermann Wilhelm Hars, von 1916–†1934 an den Lokomotivführer Adolf Daetz, dann an Tapezier Friedrich Thesdorf, 1939 an die Witwe Dorothea Krüger, 1940 an den Rentner Friedrich Genatowski und von 1941 bis zur Ausbombung an die Witwe A. Krieg. Im Jahre 1931 war mit dem Hochbahnangestellten Hellmuth Schriewer noch eine zweite Mietpartei in den ersten Stock gezogen. Diese Wohnung mietete von 1934–†1941 der Zimmermann Heinrich Bolt.

 

 

Flurkarte von 1751
   Scheune des Großen Pachthofs

 

Rechts das nach 1663 errichtete Hauptgebäude des Großen Pachthofs, im April 1926 von Hermann Haase gemalt.

Auf der Flurkarte von 1751 sieht man es südlich des mittleren großen Teichs.

 

 

 

   

 

Von der Pagenfelderstraße kommend blickt man 1912 auf den Hofbereich mit Scheune und Schmiede.

 

Ein Schmuckstück des Großen Pachthofs war schon immer der von einem Gärtner gepflegte Außenbereich mit drei idyllischen Fischteichen, jahrhundertealten Eichen, einer besonders schön gewachsenen Blutbuche und einer Esche, deren Blätterdach so dicht war, dass man selbst bei strömendem Regen nicht nass wurde. Verwandte, Bekannte aber auch Fremde verbrachten ihre Ferien auf dem romantisch anmutenden Hofareal.

 

Im Spätsommer 1914 endeten jedoch die glücklichen Jahre der Pächterfamilie. Sohn Hermann (*29.2.1892) fiel am 19. September 1914, gleich nach Kriegsbeginn. Am 5. Januar 1905 starb der Vater (zuhause um 8 Uhr, genau an seinem Geburtstag) und am 17. Dezember desselben Jahres sein ältester Sohn Heinrich (*27.1.1886). Witwe Emma Catharina führte den Hof weiter, tatkräftig unterstützt von ihren jüngsten Kindern Emma Marie Therese Rebecca und Hans Friedrich Hermann, die am 24.9.1896 bzw. 11.1.1894 geboren worden waren. Nach ihrer Heirat mit Hans Hintz, am 7.5.1922, verließ Tochter Emma das Anwesen. Im Jahr darauf wurde der landwirtschaftliche Betrieb aufgegeben. Wegen der allgemeinen Notlage nach dem Ersten Weltkrieg ließ Hamburg die alten Agrarflächen zu Kleingärten parzellieren. Emma Catharina von Drateln und Sohn Hans verblieben nur noch das Hofhaus, zu dem seit 1934 auch ein 1846 errichtetes Spitzdachhäuschen gehörte, gleich links des Scheunenbereichs. Seit 1930 war hier die Küperei und Fasshandlung von Carl und Willy Wilkens untergebracht.

 

Das Ende des Großen Pachthofs und seiner Baulichkeiten kam am 28. Juli 1943 um 1 Uhr morgens. Alles war schon für den 80. Geburtstag der Mutter vorbereitet, als Fliegerbomben einschlugen. Aus der Küche als Behelfsschutzraum konnte sich die von Dratelns nur retten, weil die Lindenreihe den starken Funkenflug abhielt und somit einen Fluchtweg ermöglichte. Der strohgedeckte Wirtschaftsbereich brannte rasch ab und auch vom Wohnteil blieben nur Fassaden. Die Familie erhielt eine Notunterkunft im Barmbeker Krankenhaus, wo Hans Friedrich von Drateln tätig war.

 

Die parzellierten Kleingärten um den Pachthof bebaute man nach und nach mit 14 Behelfsheimen als Notunterkünfte für ausgebombte Familien. Im Frühjahr 1950 wurde die ausgebrannte Ruine des Großen Pachthofs beseitigt und auf den alten Grundmauern ein Gebäude errichtet, das dem alten stilistisch ähneln sollte. Diese Aufgabe war dem Architekten Richard Fromm übertragen worden. In der ersten Etage sowie im Dachgeschoss gab es Wohnungen und im Parterre rechts bis 1965 das Lebensmittelgeschäft von Meta Pracht. Hauptattraktion war aber ein Kino, das am 7. Dezember 1951 mit dem Spielfilm "Mutter sein dagegen sehr" feierlich eröffnete. Die "Derby-Lichtspiele" lagen vor der Ausbombung südlich des neuen Gebäudes. Nachdem das Kino am 30. April 1964 schließen musste, wurde es zum Supermarkt umgebaut.

 

Eine erforderliche Grundwasserabsenkung Mitte der 1950er Jahre hatte führte zur Austrocknung der einst idyllischen Fischteiche.

 

Doch was ist aus der Familie von Drateln geworden? Am 22. Januar 1947 morgens um 8:30 Uhr starb Emma Catharina Caroline von Drateln eines natürlichen Todes an der Wellingsbütteler Landstrße 59. Ihre einzige Tochter Emma Marie Therese Rebecca (seit 1952 Witwe des Bankvorstehers Hans Hintz) ist zuletzt im Telefonbuch von 1975 im ersten Stock am Curtiusweg 14 vermerkt. Bruder Hans Friedrich Hermann (*11.1.1894) war 1950 an die Moltkestraße 45a gezogen, 1952 dann an die Straße Steenwisch 10, wo der Beamte im Ruhestand am 22.7.1967 verstarb. Den ersten seiner zwei Söhne hatte er am 24.2.1926 Hermann Otto Hans genannt, zu Ehren des im Ersten Weltkrieg gefallenen Bruders. Doch auch dieser Sohn fiel am 25.6.1944 in Frankreich, elf Kilometer westlich von Caen. Er wurde nur 18 Jahre alt