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letztmalig bearbeitet im Januar 2019.
Auf der Ostseite des Bauerbergs lag bis
zur Ausbombung am 28. Juli 1943 um 1 Uhr dieses stattliche Hofgebäude.
Das am 28. Juli 1943 durch Brandbomben zerstörte Hauptgebäude
des "Großen Pachthofs" ist zwar schon auf einer Karte von 1808
eingezeichnet, nicht jedoch auf Ramborgers Flurkarte von 1751, die nur ein
großes, im niedersächsischen Landhausstil errichtetes Gebäude zeigt. Es war
nach 1663 auf dem Geestrücken errichtet worden, straßenabseits der
flutgefährdeten Marsch. Bereits im 12. Jahrhundert gab es einen Hof in Horn, 1306
erstmals urkundlich erwähnt. In den folgenden Jahrhunderten entstanden weitere
Strohdachkaten und mit ihnen ein Feldweg, den der Volksmund
"Bauerberg" nannte, obwohl "Bauernberg" eigentlich die
richtigere Bezeichnung gewesen wäre.
Über Pächter und Bewohner ist bis 1464
nichts bekannt. In jenem Jahr verkaufte das Hospital den Hof an die Bauernfamilie
Soltow (Soltau), seit 1492 auch Grundeigentümer in Jenfeld, als dort Henning
Soltow urkundlich erwähnt wurde. Aus ihrem umfangreichen Besitz verpachteten
und verkauften die Soltows auch immer wieder Ländereien, einen Hof in Horn
nachweislich an Willem Boding, der ihn am 17.6.1531 an Jochim Salßborge
(Joachim Salsborch) veräußerte. Nachdem dieser am 11.1.1557 kinderlos
verstorben war, besaß Ehefrau Margarethe den Hof noch bis 1568. Nächster
Grundeigentümer war dann der Kaufmann Ulrich Winckel (1527–15.9.1594), der anno
1562 Anna Lüchtemaker geheiratet und mit ihr zwölf Kinder bekommen hatte.
Nachdem er verstorben war gehörte der Hof seinen Söhnen Johann und Ulrich
(30.10.1575–15.2.1649), letzterer seit 1624 bis zu seinem Tod auch Hamburger
Bürgermeister. Seit dem 11.4.1608 war er mit der 1581 geborenen Tochter des
Bürgermeisters Diedrich von Holte verheiratet. Die Söhne hießen Diederich
(*1620‒†19.5.1667) und Ulrich (1622‒1680). Erben der Familie
Winckel ließen ihren großen Hof am 16. März 1661 teilen.
Anno 1615 hatte Marie, Witwe eines Johann
Soltow, einen anderen Hof in Horn an ihren Schwiegersohn Curt Grawerts
verkauft. Zwei Jahre später soll der mecklenburgische Adlige Albert Brämbse
acht Häuser und vier Scheunen Horns angezündet haben, um sich am Leiter des
Hamburger Domkapitels Dekan Hinrich Pommert zu rächen, der über ihn den
Kirchenbann ausgesprochen hatte. Da es derzeit in Horn nur etwa 15 Gebäude gab
(siehe Karte von 1600), kann man sich die Zerstörungen vorstellen. Im Jahre 1622 kam ein Kontrakt zustande, in dem das
Hospital zum Heiligen Geist alles Land außerhalb des Millerntores der Stadt überließ
und dafür Grundbesitz in Horn erhielt. Zusätzlich zahlte die Stadt eine
jährliche Rente von 1.500 Mark Courant und 24 Wispel Roggen.
Über die folgenden zwei Jahrhunderte ließ
sich bislang nichts erforschen. Das stets reich begrünte Areal bestätigte ein
Dokument vom 6. Januar 1805, als Waldvogt Brinckmann acht Bäume im Garten sowie
fünf Buchen und noch 96 Eichen auf der Koppel zählte, obwohl bereits am 28.
April 1796 achtzig Eichen öffentlich an den Meistbietenden verkauft worden
waren. Am 9. September 1806, zwei Monate bevor napoleonische Soldaten das Dorf
für sieben Jahre besetzten, konnte eine weitere öffentliche Auktion über 55
Eichen stattfinden, die 357 Mark Courant und acht Schillinge erzielte.
Seit
mindestens 1796 war J.C.H. Barckhan Hofpächter,
seit 1813 dann Carl Heinrich Johann Rosenau. Nachdem der zum Bauerberg
gelegene Wohnbereich am 8. April 1831 abgebrannt war, konnte er schon bis
September durch einen großen Fachwerkbau ersetzt werden, den Stadtbaumeister
Carl Ludwig Wimmel entworfen hatte. Das Gesamtgebäude besaß eine Grundfläche
von 40,11 x 15,75 Metern, allein der Scheunenbereich war 28,65 x 14,32 Meter
groß. In einem 1846 errichteten Spitzdachäuschen, gleich hinten links des
Scheunenbereichs, hatte Rosenau bis zu seinem Tod im Jahre 1849 eine
Spiritusfabrik betrieben. Die Witwe (†1858) zog noch im selben Jahr an die
Hammer Landstraße Nr. 31. Noch unbekannt ist, wer den Hof anschließend
übernahm. Die jährliche Pacht hatte des Hospital zum Heiligen Geist seinerzeit
von 900 auf 1.000 Mark erhöht.
Das Pachthofgebäude war aber stets
bewohnt: Im Jahre 1866 mietete sich Peter Philipp Friedrich von Grzeskewitz
ein, der schon im AB von 1834 als Wollwarenhändler steht. 1869 zog er an die
Hammer Landstraße Nr. 195, wo er 1888 verstarb. Nach ihm kam der Kaufmann
Hermann Bernhard Röhlig und von 1872–1874 der Präturbeamte E.H.J. Brügmann.
Seit 1875 wohnte Zimmermeister J.J.A. Zimmer aus St. Georg im Haus, doch schon
1876 der Gewürzwarenhändler Georg August Zincke und Stellmacher Wilhelm Carl
Friedrich Ungnade. Nachdem der 1879 an die Henriettenallee Nr. 9 gezogen war,
mietete Carl J.P. Gottschalck (†1918) die Wohnung, Besitzer einer Lehranstalt
an der Langenreihe in St. Georg. Als 1892 ein neuer Pächter kam, zog
Gottschalck an den Hornerweg Nr. 72 und im Jahre 1894 an den Hohlerweg Nr. 48
(heute "Beim Rauhen Hause").
Am 21. Juli 1881 hatte das "Hospital
zum Heiligen Geist" den Pachthof an die Stadt Hamburg verkauft.
Seit Januar 1891 gab es am Bauerberg neue
Hausnummern. Aus Nr. 25 war die Nr. 20 geworden. Erst aus dem Jahre 1892 ist
uns mit Johann Heinrich Diedrich von Drateln (1862–1915) wieder ein
Landwirt bekannt, der die 88 Hektar große Staatsdomäne pachtete. Mit Ehefrau Emma
Catharina Caroline, geborene Hein (1865–1947) und zwei Söhnen war er aus
Wilhelmsburg hierhergezogen. Einer war fünf Jahre alt, der andere gerade
geboren.
Im Jahre 1894, als Horn zu einem
Hamburger Stadtteil geworden war und die Martinskapelle einen Turm erhalten
hatte, verlängerte man den rechts des Gebäudes verlaufenden Hofweg bis zum
jetzt "Martinskirche" genannten Gotteshaus. Im Volksmund wurde er
bald "Kirchenstieg" genannt.
Alljährlich zur Derbyzeit waren in den
Scheunen Horns Pferde einquartiert, denn die Galopp-Rennbahn hatte seinerzeit
noch keine eigenen Stallungen. Vor allem Jockeys und Pferdebesitzer schätzten
das "Haus am Bauerberg" mit seiner Gastfreundlichkeit und besten
Bedingungen, denn in seinen zwei Scheunen konnten bis zu 38 Rennpferde
untergebracht werden. Als 1895 das einquartierte Pferd "Impuls"
Derbysieger wurde, war die Freude der von Drateln und ihrer zahlreichen Freunde
und Gäste natürlich riesengroß. Beherbergte Derbysieger waren auch Trollhetta
(1896), Flunkermichel (1897), Tuki (1901) und Sieger (1908).
Im Erdgeschoss des Hofhauses hatte bis
ins Jahr 1900 nur die Familie von Drateln gelebt. Die oberen Wohnräume aber
wurden immer wieder vermietet. Seit 1900 an den Buchhalter Carl Sturmk, 1901 an
den Küpermeister Friedrich Baark, 1906 an Maschinenmeister Theodor Müller, 1911
an Werkmeister Hermann Heinecke, 1914 an Zimmermann Wilhelm Hars, von
1916–†1934 an den Lokomotivführer Adolf Daetz, dann an Tapezier Friedrich
Thesdorf, 1939 an die Witwe Dorothea Krüger, 1940 an den Rentner Friedrich
Genatowski und von 1941 bis zur Ausbombung an die Witwe A. Krieg. Im Jahre 1931
war noch eine zweite Mietpartei in den ersten Stock gezogen. Es war der
Hochbahnangestellte Hellmuth Schriewer. Seine Wohnung mietete von 1934–†1941
der Zimmermann Heinrich Bolt.
Rechts das nach 1663 errichtete
Hauptgebäude des Großen Pachthofs, im April 1926 von Hermann Haase gemalt.
Auf der Flurkarte von 1751 sieht man es
südlich des mittleren Teichs.
Von der Pagenfelderstraße kommend blickt
man auf den Hofbereich (rechts ein Foto von 1998).
Ein Schmuckstück des Großen Pachthofs war
schon immer der von einem Gärtner gepflegte Außenbereich mit drei idyllischen
Fischteichen, jahrhundertealten Eichen, einer besonders schön gewachsenen
Blutbuche und einer Esche, deren Blätterdach so dicht war, dass man selbst bei
strömendem Regen nicht nass wurde. Verwandte, Bekannte aber auch Fremde
verbrachten ihre Ferien auf dem romantisch anmutenden Hofareal.
Im Spätsommer 1914 jedoch endeten die
glücklichen Jahre der Pächterfamilie. Sohn Hermann (29.2.1892–19.9.1914) fiel
gleich nach Kriegsbeginn und der älteste Sohn Heinrich (27.1.1886–17.12.1915)
im Jahr darauf, eine Woche vor Heiligabend. Nachdem auch der Vater im selben
Jahr verstorben war, führte die Witwe Emma Catharina den Hof weiter, tatkräftig
unterstützt von ihren jüngsten Kindern Emma und Hans, die 1896 bzw. 1907
geboren worden waren. Nach ihrer Heirat 1922 verließ Tochter Emma das Anwesen,
und im Jahr darauf wurde der landwirtschaftliche Betrieb aufgegeben. Wegen der
allgemeinen Notlage nach dem Ersten Weltkrieg ließ Hamburg die alten Agrarflächen
zu Kleingärten parzellieren. Emma Catharina von Drateln und Sohn Hans
verblieben nur noch das Hofhaus.
Das Ende des Großen Pachthofs und seiner
Baulichkeiten kam am 28. Juli 1943 um 1 Uhr morgens. Alles war schon für den
80. Geburtstag der Mutter vorbereitet, als Fliegerbomben einschlugen. Aus der
Küche als Behelfsschutzraum konnte sich die von Dratelns nur retten, weil die
Lindenreihe den starken Funkenflug abhielt und somit einen Fluchtweg
ermöglichte. Der strohgedeckte Wirtschaftsbereich brannte rasch ab und auch vom
Wohnteil blieben nur Fassaden. Die Familie erhielt eine Notunterkunft im
Barmbeker Krankenhaus, wo Hans von Drateln tätig war.
Die parzellierten Kleingärten um den
Pachthof bebaute man nach und nach mit 14 Behelfsheimen als Notunterkünfte für
ausgebombte Familien. Im Frühjahr 1950 wurde die ausgebrannte Ruine des Großen
Pachthofs beseitigt und auf den alten Grundmauern ein Gebäude errichtet, das
dem alten stilistisch ähneln sollte. Diese Aufgabe war dem Architekten Richard
Fromm übertragen worden. In der ersten Etage sowie im Dachgeschoss gab es
Wohnungen und im Parterre rechts bis 1965 das Lebensmittelgeschäft von Meta
Pracht. Hauptattraktion war aber ein Kino, das am 7. Dezember 1951 mit dem
Spielfilm "Mutter sein dagegen sehr" feierlich eröffnete. Die
"Derby-Lichtspiele" lagen vor der Ausbombung südlich des neuen
Gebäudes. Nachdem das Kino am 30. April 1964 schließen musste, wurde es zum
Supermarkt umgebaut.
Eine erforderliche Grundwasserabsenkung
Mitte der 1950er Jahre hatte führte zur Austrocknung der einst idyllischen
Fischteiche.
Doch was ist aus der Familie von Drateln
geworden? Im Jahre 1947 starb Emma Catharina von Drateln. Ihre einzige Tochter
Emma Hintz, lebte noch in den 1970er Jahren im Stadtteil Hamm, am Curtiusweg
Nr. 14. Bruder Hans, ein Beamter, war 1950 an die Moltkestraße Nr. 45a gezogen,
1952 dann an die Straße Steenwisch Nr. 10. Im Jahre 1960 war er Pensionär
geworden, 1967 verstorben. Den ersten seiner zwei Söhne hatte er 1925 Hermann
genannt, zu Ehren des im Ersten Weltkrieg gefallenen Bruders. Doch auch dieser
Hermann fiel 1944. Er wurde nur 19 Jahre alt…
Zur Nr. 20 gehörte seit 1934 auch ein
1846 errichtetes Spitzdachhäuschen, gleich hinten links des Scheunenbereichs,
in der seit 1930 die Küperei und Fasshandlung von Carl und Willy Wilkens
untergebracht war.